Heimfahrt

Tja, da gibt es in Studentenkreisen immer wieder ein Gehader mit den Worten. Die alltägliche Frage "Bist du daheim?" ist der Beginn ein und derselben Konversatzion, die sich nach Beantwortung der Frage mit "ja" oder "nein" darum dreht, ob nun der Studentenwohnsitz oder der Wohnsitz "daheim", also zumeist bei den Eltern, gemeint ist. Viele sind dazu übergegangen die frühere Heimat "daheimdaheim" zu nennen ...

Diese Kontroverse um die "wahre Heimat" passt gut zu meinem Empfinden dieser Tage. Es ist eine Reise zwischen der einen und der anderen Heimat, und so richtig als Zuhause-Fühlen tut sich dabei keiner der beiden Orte. Es ist das beständige Hin und Her eines heimatlos Gewordenen zwischen dem Ort, der Heimat war und dem Ort, der es noch werden soll... Nicht ganz, aber zumindest Züge davon annehmen soll.

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
den schickt er in die weite Welt.
(...)
Die Trägen, die zu Hause bleiben,
erquicket nicht das Morgenrot.


So heißt es bei Eichendorff, und es beschleicht mich immer mehr das Gefühl, dass das Leben ein Weggehen ist, ein bedingungsloses "seinen Weg gehen". Wenn das Schicksal einen Weg vorbestimmt und die Überzeugung groß wird, bestimmend wird, diesen Weg gehen zu müssen, um nicht das quälende Gefühl der Versäumnis sich für immer einzuheimsen, dann gibt es keinen (ideellen) Grund, der jemand halten kann.
Auseinanderstreben ohne Rücksicht; es ist letzten Endes auch eine Absage gegen Grenzen überwindende Liebe oder Freundschaft. Wer kann schon den großen Gewinn, den eine Liebe oder Freunschaft zweifellos bieten kann, aufwiegen, gegen ein beklemmendes Gefühl, das einen für 24 Stunden gängelt, oder ihm für 24 Stunden jeden Tag eine nachteiligere Lebenssituation einbringt!?
Mit großer Rührung und Befriedigung habe ich an kompromisslose emotionale Bindung geglaubt. Die beschriebene Absage dagegen ist natürlich keine vollkommene Absage, aber das ist hier ein zu weites Feld... "Lass mich gehen, wenn du mich wirklich liebst" ist kaum weniger rührend.
Es schließt sich der Kreis zum einleitenden Eichendorff-Vers. Auseinandergehen ist kein angenehmesThema für den klassischen Romantiker, für den Idealist, .. und vllt auch für den Naivling!?

Was impliziert der Begriff "Heimat"? Was macht einen Ort zur Heimat?
Wenngleich sich die Antworten verschiedener Personen in vielen Punkten decken würden, so sind dies wohl Fragen, auf die man nicht allgemeingültig antworten kann, sondern die einer individuellen Beantwortung bedürfen.
Es ist das wohlige Gefühl, die Vertrautheit, die Sicherheit, und bestimmt auch die mit jedem Objekt verknüpften Erinnerungen. Wenn ich mich auf die Heimfahrt mache, dann genießen ich jeden Meter, den ich näher komme. Die Ungewissheit des Fremden, die Unsicherheit und die damit verbundene Angespanntheit lässt nach. Und auch dem schnellen Takt und der Reizfülle des großstäditschen Lebens entgehe ich, zurück in die von mir selbst in den letzten Wochen so nachhaltig erfolgreich glorifizierte Heimat.
Langsamer Gang der Dinge, Persönlichkeit, Zwischenmenschlichkeit, Überschaubarkeit, der bekannte Dialekt. Mit Stolz und einem genüsslichen Seufzen: Fuckin home!

Warum spreche ich also von Heimatlosigkeit?
Es dauert manchmal wenige Tage, manchmal ein paar Stunden bis auf die Freude eine Ernüchterung folgt. Mehr oder weniger ist dies der Augenblick, an dem gewiss wird, dass die ganzen Erinnerungen an die schönen Momente mit den Freunden, die mit den vertrauten Orten verbunden waren, vergangen sind. Vergangen!
Ein großes Stück ist Heimat dort, wo die Personen sich aufhalten, unter denen man sich heimisch, geborgen fühlt. Und so ist das zweite Gefühl Frust und Trauer über das Verlorene. Nicht nur das positive Auskosten des Vergangenen, sondern vielmehr der bittere Beigeschmack über die endgültige Vergangenheit.
There the road begins, where another one will end. Bisher hat noch wenig begonnen ... Heimat ist am örtlichen Daheim ausgestorben. Heimat definiert sich viel mehr als durch eine bloße Örtlichkeit.

Hier zu sein und zu spüren, dass hier nichts mehr ist, obwohl hier alles sein sollte und hier alle Erinnerungen und Hoffnungen ruhen, stimmt traurig.

Alternativen? Nicht mehr herkommen um der Frustration zu entgehen und dem Ärger, wenn es wieder zurück in die vermeintlich zweite Heimat. Dieser Grundsatz widerspräche jeder menschlichen Beziehung; schließlich ist alles vergänglich. Spätestens der Tod rechnet mit dem Abschiedsschmerz das Positive, das der verstorbene Mensch einem geben konnte, auf.
Und schließlich ist es doch manchmal Kraftspender genug hier. Heute nicht, heute fühlt es einsam.

Zwei Orte, die daheim sein sollten (aber nur insoweit als dass ich mich immer dagegen wehren würde, dass die originärere Heimat die echte bleibt), führen unumgänglich in Heimatlosigkeit.
Das Leben ist kein Bleiben, sondern ein kompromissloses "seinen Weg gehen", deterministisch vorgegeben das tun, wonach es dringend dürstet.

Schwierige Prämissen für einen beständigen Menschen mit großer Akklimatisationsdauer.
Sicher an einem anderen Tag nochmals der Untersuchung im Monolog bedürftig! :-)
Elisabetta1 - 6. Feb, 00:17

der begriff *heimat* hat...

...meiner erfahrung nach, für menschen in einem fortgeschrittenen alter, eine existenzielle bedeutung. das weggehen von der ursprünglichen heimat und der aufbau einer weiteren,
in jungen jahren, ist für die meisten, der lauf des lebens und völlig normal. die gründung
einer familie bedingt dann, in vielen fällen, den neuen wohnort kontinuierlich beizubehalten,
also als zweite heimat zu akzeptieren. solange der mensch im arbeitsprozeß integriert ist,
seine kinder in ausbildung sind, hat er nicht so viele möglichkeiten etwas zu ändern.
sind diese parameter nicht mehr gültig, dann wird für viele die sehnsucht nach *heimat* spürbar und es kommt nicht selten vor, daß sie ihren lebensabend wieder in der
einst so vertrauten umgebung verbringen möchten/wollen. selbst wenn die freunde von
damals nicht mehr vorhanden sind.
ich selbst, habe 13 jahre in holland gewohnt. es ist mir zur zweiten heimat geworden, aber
ich hätte niemals *für immer* bleiben wollen. natürlich ist es von der persönlichkeit und inneren einstellung abhängig, doch heimat, bleibt heimat .
ich denke und hoffe für dich,, daß du das gefühl heimatlosigkeit niemals erfahren mußt,
es wäre schade.
liebe grüße elisabetta

ElDonno - 15. Feb, 20:53

Nicht verkehrt ...

Ein interessanter Kommentar, Elisabetta. Weniger schmerzvoll, mehr realitätsnah und pragmatisch, aber ich finde viel Wahres darin, dem ich zustimmen kann.
Danke für dein Interesse und deine Beiträge hier!

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